GABRIELA DOMEISEN / CH
Barbies geheimes Leben
Als Zückerchen zum aktuellen Barbiefilm empfiehlt sich dieses grandiose Buch: Toys are us.
Es ist 2023 immer noch gleich kontrovers wie im Erscheinungsjahr 2001. Ein ästhetischer Blick hinter Barbies pinke Plastikfassade.
Wir haben noch Signierte Erstauflagen an Lager, first come first serve.
toys are us
Zu den Fotografien von Gabriela Domeisen
Auf den ersten Blick scheinen wir realistische Szenen zu betrachten, Bilder, die von einer starken sexuellen Obsession geprägt sind, die der Direktheit der Bildmotive entspricht. Akte, Kopulatiosszenarien, wie wir sie alle kennen, die Protagonisten in perfekter Schönheit strahlend. Ästhetik oder Pornographie? Die Beleuchtung weist vordergründig auf eine künstlerische Verarbeitung des „Themas Sexualität“ hin.
Und dann die Erkenntnis das dieses Licht nicht nur einen künstlerischen Zweck erfüllt, es vermag auch Plastiknähte zu kaschieren: Das Aha-Erlebnis , das es sich bei den perfekten Körpern um Puppen handelt. Die Vorstellung des sinnlichen Erlebens , die uns suggeriert wurde, wird durch eine sterile Barbie-Realität zerstört. Spätestens an dieser Stelle wird uns bewusst, dass sich hinter dem scheinbaren Erotik-Ästhetizismus weit mehr verbirgt:
dieses Erlebnis ist eine Reflexion auf uns selbst, denn es macht bewusst, dass die Bilder die wir sehen nicht durch unsere Augen sondern im Gehirn entstehen. Die Künstlerin vermag so Einblicke in unser eigenes Innenleben freizulegen.
Was die Thematik anbelangt, so ist sicherlich auch ein sozialkritischer Aspekt zu sehen, wenn GD Barbies häuslich-perfekte Schillerwelt ins schmuddlig-pornografische hinabzieht, um sie dort jedoch wieder künstlerisch zu verklären.
Markus Schoeb, Lic.Phil.I, Kunsthistoriker
Interview im AK - Gabriela Domeisen
Obertitel: Grenzerfahrungen aus Plastik
Untertitel: Das Fotobuch „Toys are us“ der Schweizer Fotografin Gabriela Domeisen lässt niemanden kalt. Rigoros in Schwarzweiss, raffiniert beleuchtet und kompromisslos inszeniert thematisiert die in Zürich lebende Künstlerin Sex, Nacktheit und Gewalt. Ihre Models sind nicht ganz unbekannt - es handelt sich nämlich um Barbies, Kens und Billys. Francesco Laratta sprach mit Gabriela Domeisen über ihre etwas aussergewöhnliche Leidenschaft für Puppen.
Text:
aK: Du lichtest nackte Barbies ab. Wie erklärt sich dein Faible für das blonde Busenwunder?
Gabriela Domeisen: Es ist interessant, zu sehen, wie Plastikpuppen in einer bestimmten Position sogleich Assoziationen wecken können. Ihre inszenierte Körpersprache ruft die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Die gestellten Oralszenen beispielsweise waren vielen Frauen peinlich; sie empfanden sie als demütigend. Ganz anders die Homosexuellen: Fast ausschliesslich reagierten sie positiv selbst auf gewalttätigen Inszenierungen. Ich finde es ausserordentlich spannend, wie ein und dasselbe Bild in Menschen so vielfältige Gefühle wecken kann.
aK: Auch die amerikanische Künstlerin Cindy Sherman setzte Puppen in einem gewalttätigen Kontext. Gilt ihr Werk als Vorbild?
Gabriela Domeisen: Ich mag Cindy sehr, aber ich würde sie nicht als Vorbild bezeichnen. Vielleicht eher als ‚Motivation’. Vielmehr fühle ich mich mit Robert Mapplethorpes Arbeiten verwandt. Seine Fähigkeit Kontroverses, gar Pornografisches zu ästhetisieren fasziniert mich. Sein Stil erotischer Fotografie, seine Vorliebe für schwarzweiss Aufnahmen ermöglichen eine Stilisierung des Körpers, die ich in meinen eigenen Arbeiten anstrebe. Durch Licht und Schatten entstehen Kontraste, die selbst Plastikpuppen Leben einhauchen.
aK: War das Medium Fotografie für dich Liebe auf den ersten Blick?
Gabriela Domeisen: Ja, zweifelsohne. Schon früh entdeckte ich meine Leidenschaft für die Fotografie. So etwa mit fünfzehn oder sogar früher. Es passierte in den Ferien, ganz zufällig. Jahrelang habe ich dann in der Fotobranche gearbeitet; zuerst im Fotoverkauf, später als Auftragsfotografin unter anderem für Hochzeitsfeiern. Nun ja, spannend war es nicht. Doch es wurde gut bezahlt. Mit dreissig Jahren stand für mich eines klar: Jetzt war es an der Zeit mein künstlerischer Anspruch zu verwirklichen. Zuerst aber galt es, eine Galerie zu finden – ein nicht ganz einfaches Unternehmen.
aK: Nun ist dein Erstlingswerk „Toys are us“ erschienen. Welche Rolle nimmt die Künstlichkeit der Spielzeuge ein?
Gabriela Domeisen: Eigentlich ist die Gefühllosigkeit der fotografierten Puppen allgegenwärtig. Aber auf den ersten Blick wirken die Körper sinnlich, erotisch und attraktiv. Doch auf den zweiten Blick erkennt man die Künstlichkeit der Spielzeuge und die Illusion bricht zusammen. Die erotischen Fantasien der Betrachter entpuppen sich so als nichtig. Mir macht das Spass; ich bin nämlich eine richtig fiese Spielverderbin.
aK: Welche Wirkung willst du mit deinen Bildern erzielen?
Gabriela Domeisen: Meine Bilder müssen etwas auslösen. Vielleicht werden sie belächelt oder scharf kritisiert, aber im Grunde zählen die Fragen, die sie aufwerfen. Kunst muss berühren, muss Kommunikation hervorbringen.
Der Fernseher schüttet uns mit Gewaltbildern zu. Die reale Gewalt berührt uns nicht mehr. Aber ein paar verstümmelte Barbies erschüttern uns. Diese fiktive, inszenierte Gewalt eines zerschnittenen, genagelten und verschmolzenen Puppenkopfs schockiert und regt die Gemüter dermassen, dass man mir sogar der Vorwurf gemacht wurde, ich fordere zur Gewalt auf. Solche Aussagen sagen meiner Meinung nach mehr über den Betrachter als über meine Fotografien. Es ist übrigens keine einfache Sache, eine Barbie zu verstümmeln! Nur mühsam lässt sich das hartnäckige Plastik aufschneiden! (Lacht)
aK: Du verstümmelst mit Vorliebe Barbies. Wieso verschonst du die Billys?
Gabriela Domeisen: Rein aus ökonomischen Gründen. Der ‚Action Man’ gab es nicht mehr im Handel. Den konnte ich nicht zerstückeln, sonst hätte ich die einzige Puppe mit Dreitagebart geopfert. Die Billys kamen aus dem Ausland und waren dementsprechend teuer. Beim Fotografieren habe ich mich vermehrt gefragt, wofür solche Puppen eigentlich gut sein sollen. Ich meine, die Billys gibt’s nur ab 18 Jahren, nur weil sie ein bisschen mehr Plastik zwischen den Beinen haben. Wieso sollen nicht Kinder damit spielen? Barbie hat ja auch einen überdimensionalen Busen!
aK: Kann man deine Bilder auch als eine Attacke gegen die standardisierten Schönheitsidealen unserer Gesellschaft verstehen?
Gabriela Domeisen: Nein. Ich habe nichts gegen Schönheit. Ich mag Barbies, finde sie hübsch. Ihre Verstümmelung ist vielmehr die Zerstörung einer Illusion, der Idee einer sogenannten Traumfrau.
aK: Würdest du deine Arbeit als politisch bezeichnen?
Gabriela Domeisen: Politisch? Im Grunde ist schon unsere Lebensweise politisch. Knutschende Barbies oder kuschelnde Billys sind für mich ganz normale Bilder. Selbst wenn sich einige daran stören - solche Bilder grenze ich nicht aus.
aK: Deine Bilder sind häufig auch pornografisch. Wie stehst du zur Pornografie?
Gabriela Domeisen: Pornografie sagt mir eigentlich nicht viel. Geschieht sie unfreiwillig, lehne ich sie entschieden ab. Aber auf meinen Fotografien sieht man ja keine atmenden, fühlenden Menschen – es sind nur Puppen. Einfach nur Puppen, die so stehen, als würden sie vögeln.
Buchbesprechung „Toys are us“:
Nackt und lächelnd präsentieren sich uns die in variantenreichen sexuellen und gewalttätigen Darstellungen abgelichteten Puppen der Fotografin Gabriela Domeisen. Ihr Fotobuch „Toys are us“ visualisiert nämlich ein etwas anderes Puppenspiel. Verschmolzene, zerschnittene und genagelte Puppen ermöglichen den Betrachtern wenig Distanz. Beunruhigend wirken die stilisierten Grossaufnahmen in Schwarzweiss, selbst wenn es sich um gewöhnliche Portraits oder Detailaufnahmen handelt. Denn überzeugend menschlich wirken diese aus Plastik gegossenen und massenweise fabrizierten Gesichter. Ein Mund, ein muskulöser Rücken oder eine Brustwarze strahlen trotz ihrer Künstlichkeit eine irritierende Erotik aus. Mit viel Ironie inszeniert Gabriela Domeisen Plastikpuppen und bedient sich ihrer Oberflächen, um Geschichten zu erzählen – Geschichten über lächelnde Schönheiten, bissige Gewalt und obsessive Sexualität. „Toys are us“ ist im Kehrer Verlag Heidelberg erschienen.